Medikation

Tabletten gemörsert und ohne Einwilligung verabreicht

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Kritisches Ereignis

Darum geht es

Bewohner und Bewohnerinnen mit Demenz erhielten ihre Medikation gemörsert in Joghurt; deren Einwilligung hierzu lag zudem nicht vor.

Bericht zum kritischen Ereignis/Bericht zum kritischen Ereignis

Originalbericht vom 19.09.2025

Was ist passiert?

es geht um eine Station im Pflegeheim, in der nur demenzerkrankte Bewohner leben. Die Spätschicht war wegen Krankheitsausfällen unterbesetzt. die einzige Pflegefachkraft im Dienst musste sich nicht nur um die Medikamentenversorgung kümmern, sondern auch um hauswirtschaftliche Tätigkeiten/ Abendessen, Toilettengänge, abendliche Grundpflege etc.. Die Fachkraft war ziemlich unter Zeitdruck, kurz gesagt im Stress. Jeder, der mit Demenzkranken schon mal zu tun hatte, weiß, dass die Medikamentengabe oft mit viel Zeit zum Erklären verbunden ist. Diese Zeit hatte die Fachkraft aber nicht. Deshalb hatte sie die Tabletten für jeden Bewohner vorab gemörsert (nicht zusammen, schon getrennt für jeden Bewohner) und das entstandene Pulver vermischt mit Joghurt den Bewohner angereicht, quasi heimlich, damit es schneller geht und sie den Bewohnern nicht erklären braucht, warum/ welche Tablette sie einnehmen sollen. der Vorfall wurde bekannt, weil die Fachkraft es selbst in einer Mitarbeiterbesprechung berichtete, um auf die Unterbesetzung und ihre Folgen aufmerksam zu machen.

  • Nein
  • Stationäre Pflege (z. B. Altenpflegeeinrichtung)
  • Spätdienst
  • Pflegebedürftige Person (z. B. Klient/‑in, Bewohner/‑in)
  • Pflegefachperson
  • Mangelnde Organisation
  • Persönliche Faktoren

Pflegepersonal aus anderen Stationen um kurzfristige Unterstützung bitten, damit die Fachkraft genug Zeit für die Medikamentengabe hat

Mindest-Schichtbesetzung wurde mit PDL besprochen, Springer-Plan wurde erstellt.

  • Nein
  • Qualitätsbeauftragte/‑r

Fachliche Empfehlung

Einige Worte vorab: Wir bedanken uns für die Beiträge zum Pflege-CIRS. Über ein kritisches Ereignis zu berichten, kann Überwindung kosten. Gleichzeitig kann es helfen, solchen Situationen künftig vorzubeugen oder möglichst gut damit umzugehen. Mit den folgenden Tipps möchten wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Langzeitpflege fachlich unterstützen. Sie werden nach bestem Wissen erstellt, können aber nicht alle relevanten Aspekte und ebenfalls keine spezifischen organisationsbezogenen oder individuellen Bedingungen berücksichtigen.

Empfehlung

erstellt am: 09.10.2025

Medikamente gemörsert und in Joghurt zu verabreichen, birgt verschiedene gesundheitliche Risiken für die pflegebedürftigen Menschen: So dürfen viele Tabletten nicht zerkleinert werden, da dies zur vorzeitigen Dosis‑Freisetzung oder zu einem Wirkverlust führen kann. Zudem kann das Anreichen mit Milchprodukten wie Joghurt die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe vermindern. Daher ist es wichtig, die ärztlich angeordnete Darreichungsform der Medikamente einzuhalten.

Darüber hinaus gilt das „heimliche“ Verabreichen von Medikamenten – auch bei Menschen mit Demenz – als Zwangsmedikation. Dies ist aus rechtlicher Sicht prinzipiell nicht zulässig. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen dürfen Medikamente heimlich (= zwanghaft) verabreicht werden: Aktuell darf dies nur im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts erfolgen, wobei die Zwangsmedikation notwendig sein muss, um einen erheblichen gesundheitlichen Schaden von der betroffenen Person abzuwenden. Zudem muss ernsthaft und ohne Druck alles versucht worden sein, um die Person aufzuklären und die Einwilligung einzuholen.

Neben diesen rechtlichen Aspekten, die gegen das „heimliche“ Verabreichen von Medikamenten sprechen, sind berufsethische Prinzipien relevant, wie Achtung der Selbstbestimmung der pflegebedürftigen Person und deren unterstützte Entscheidungsfindung. Aufgabe professionell Pflegender ist es, Medikamente fachgerecht zu verabreichen. Das gilt auch bei Zeitmangel oder organisatorischen Problemen.

Folgende aus unserer Sicht geeignete Maßnahmen wurden laut Bericht umgesetzt: Mindestbesetzung einer Schicht mit Pflegedienstleitung besprochen | Springer-Plan erstellt

Unsere Tipps zum Vorgehen bei einem solchen Ereignis

  • wenn Medikamente ohne ärztliche Anordnung gemörsert und mit einem Milchprodukt verabreicht wurden, pflegebedürftige Menschen im Hinblick auf unerwünschte Wirkungen der verabreichten Medikamente verstärkt beobachten
  • jeweilige Ärzte und Ärztinnen der pflegebedürftigen Menschen über die gemörsert und in Joghurt verabreichten Medikamente sowie ggf. beobachtete unerwünschte Wirkungen informieren und weiteres Vorgehen besprechen; außerhalb der Sprechzeit ärztlichen Bereitschaftsdienst anrufen (Tel.: 116 117) und Vorgehen besprechen
  • Vorgesetzten oder Vorgesetzte informieren und Maßnahmen vereinbaren, z. B. Information der pflegebedürftigen Menschen entsprechend ihrer kognitiven Fähigkeiten sowie ihrer Angehörigen, Gespräch mit der Pflegefachperson, kurzfristige Teamschulung zur Medikationssicherheit einschließlich Vorgehen bei personellen bzw. zeitlichen Engpässen
  • Ereignis sachlich, genau und nachvollziehbar dokumentieren: Wer? Was? Wieviel? Wie? Warum?; Beobachtungen zu unerwünschter Wirkung, erfolgte Maßnahmen einschließlich ärztlicher Anordnung, aktueller Status; außerdem Ereignis bei Dienstübergabe berichten

Unsere Tipps zur Prävention eines solchen Ereignisses

  • bei Bedenken, dass die sichere Medikamentengabe nicht gewährleistet werden kann, sofort Vorgesetzten oder Vorgesetzte informieren und weiteres Vorgehen besprechen; Speak‑Up Ansatz nutzen, z. B. „Ich brauche jetzt Unterstützung, sonst ist eine sichere Medikamentengabe nicht möglich“; zusätzlich eine Gefährdungsanzeige schreiben
  • bei geringer Besetzung Arbeitsablauf anpassen, um Stress zu reduzieren: zu Dienstbeginn Aufgaben strukturieren und priorisieren, Kollegen und Kolleginnen anderer Wohnbereiche um zeitweise Unterstützung bei bestimmten Aufgaben bitten; möglichst mit Vorgesetzen absprechen
  • Ereignis in Teambesprechung reflektieren: Ursachen (z. B. Stress) sowie Risiken (z. B. veränderte Wirkung von Medikamenten durch Zerkleinern und Verabreichen mit Milchprodukten) besprechen; Maßnahmen vereinbaren, um ein solches Ereignis künftig zu vermeiden, hierzu Zuständigkeiten festlegen
  • Dienstplangestaltung und Personalausfallmanagement prüfen und ggf. anpassen: z. B. Springer-Pool einrichten, App zur automatisierten Vertretungsanfrage einsetzen, Anreize für das Einspringen schaffen, Notfallkonzept für Arbeitsabläufe bei Personalausfällen erstellen
  • förderliche Voraussetzungen für Akzeptanz der Medikation bei Menschen mit Demenz schaffen: z. B. zugewandte einfache Sprache/keine Fachbegriffe verwenden, Ablenkung reduzieren und Fokus auf Einnahme legen, gewohnten Ablauf beibehalten, auf Bedenken verständnisvoll aber beruhigend eingehen, Tabletten einzeln mit ausreichend Flüssigkeit reichen
  • Mitarbeitende zum Umgang und zur Kommunikation mit Menschen mit Demenz schulen; auch zu ethischer Handlungskompetenz und rechtlichen Grundlagen fortbilden (z. B. ZQP-Arbeitsmaterial zur Pflege-Charta sowie zum ICN-Ethikkodex nutzen), ggf. Ethikberater oder Ethikberaterin bzw. Jurist oder Juristin für Pflegerecht einbeziehen
  • Mitarbeitende regelmäßig zur Medikationssicherheit schulen; dazu z. B. auch Apotheke und Arzt oder Ärztin einbeziehen; zudem kurze Lerneinheiten (Microlearning), etwa mithilfe von Lernpostern (One-Minute-Wonder), zur richtigen Verabreichung von Medikamenten nutzen
  • organisationsinterne Richtlinie für sichere Medikation erstellen, z. B. im Qualitätszirkel; darin auch Voraussetzungen zum Zerkleinern von Medikamenten und der Gabe mit Milchprodukten nennen; Vorgehen bei fehlender Einwilligung zur Medikation oder Ablehnung festlegen; Mitarbeitende informieren
  • pflegebedürftige Menschen und Angehörige in den Medikationsprozess einbeziehen, z. B. ermutigen, professionell Pflegende auf die richtige Darreichungsform hinzuweisen; zur Medikationssicherheit beraten und anleiten, dafür z. B. ZQP-Kurzratgeber Sicherheit bei der Medikation nutzen
  • feste Zeiten und Regeln vereinbaren, um im Team konstruktiv über kritische Ereignisse zu sprechen, z. B. bei Dienstübergaben, in Teambesprechungen, im Rahmen von Fallbesprechungen oder Kollegialer Beratung

Weitere Infos & Material

Die Empfehlungen sind als fachliche Anregungen zu verstehen und ersetzen nicht die individuelle Rechtsberatung im konkreten Fall. Sie wurden nach bestem Wissen erstellt. Das ZQP übernimmt für die Richtigkeit keine Gewähr und haftet nicht für Schäden.
Stand: 09.10.2025